Wir freuen uns über diese erste ausführliche Rückmeldung, die uns per Mail erreicht hat. Aktuell sitzen wir noch an unserer eigenen Auswertung und hoffen, noch mehr Anregung, Kritik und Solidarität zu erhalten, um die Debatte um das Dabeibleiben weiterzuführen. Nach der Veranstaltung „Kinder und Organisierung“ gehen wir erstmal in die Sommerpause, um dann die weiteren Veranstaltungen der Reihe zu planen. Deshalb nochmal der Aufruf: Schreibt uns, was euch interessiert und beschäftigt, was ihr als Leerstellen empfindet, eure Fragen, eure Anmerkungen, eure Kritik! Wir freuen uns außerdem, wenn ihr Lust habt, in die Planung mit einzusteigen, damit wir unsere Perspektiven auf Fragen des politischen Ausstiegs und des Weitermachens erweitern können.
„Hallo werte Genoss*innen,
wir ein paar Besucher*innen eurer Veranstaltung haben uns zusammengesetzt, diskutiert und einen Text verfasst. Den Text findet ihr hier. Wir würden diesen Text gerne in den kommenden Tagen auch auf Indymedia stellen um weitere öffentliche Diskussionen anzustoßen. Wir würden uns freuen wenn ihr zurück schreibt, den Text auf eurer Seite veröffentlicht und darauf das wir weiter im Austausch gegen den Ausstieg bleiben.
Solidarische Grüße
dabei gewesene Besucher*innen
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Der Leipzig Salon gegen den politischen Ausstieg hat zum ersten Mal eingeladen. Zum Thema Risiken und Nebenwirkungen von (politischer) Lohnarbeit trafen sich am 30.03.2017 ca. 100 Menschen im UT Connewitz. Der Raum wurde schick hergerichtet und es gab freien Wein, Obst und Schnittchen – danke dafür! Der Ablauf wurde wie folgt angekündigt: Kleiner Input der vier Referent*innen, Eröffnung des Buffets (wir haben vorher schon zugeschlagen ;)), Pause und Kleingruppenarbeit. Soweit so gut! Eine Grundlage für eine spannende Veranstaltung und Diskussion. Als die vier Refrent*innen anfingen zu reden wurde jedoch schnell klar, dass es hier nicht um „Dabei bleiben“ sondern um Ausstieg ging. Alle Referent*innen (eine Jugendclub Geschäftsleiterin, linke Journalistin/Unimitarbeiterin, ein Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten der Linken (WTF?) und eine Mitarbeiterin einer NGO) beschrieben sich mehr oder weniger als nicht mehr politisch aktiv…höchstens im Sinne ihrer Lohnarbeit, allerdings dort nicht in Form von Arbeitskämpfen.
Was sich im UT abspielte ähnelte eher einer studentischen Jobmesse statt einer Diskussion zwischen „Linksradikalen“, die sich über Möglichkeiten langfristiger Widerständigkeit und Voraussetzungen dafür austauschen. Grundsätzlich hatten alle vier Referent*innen eine ähnliche (polit-) Biografie: auf die ein oder andere Weise aktiv gewesen während des Studiums, nun in Lohnarbeitsverhältnissen und damit einhergehend eher Ausstieg aus der Szene oder, wie es manche auf dem Podium selbst beschrieben, eine „Unterbrechung“ der politischen Arbeit.
Unser erster Kritikpunkt bezieht sich somit auf die Wahl der Referent*Innen. Wir fragen uns warum auf einem Podium zu (politischer) Lohnarbeit und Ausstieg ausschließlich studierte Menschen sprechen? Das Podium bildete eine eindimensionale Seite linker Aktivist*innen ab, nämlich diejenigen, welche durch Privilegien, wie hohe Bildungsabschlüsse und ökonomische Kapazitäten, die Möglichkeit zum Studieren hatten. Das Studium schien demnach die Voraussetzungen für den Aktivismus gewesen zu sein: mehr Zeit als bei einem Vollzeit Job, ein ergibieges Umfeld und ein kritischer Lifestyle waren der Nährboden für linksradikales Engagement. War das Studieren abgehakt ging das Gerangel um die heißbegehrten Arbeitsplätze los, man will ja nicht umsonst studiert haben und der politische Aktivismus blieb aus Kapazitätenmangel auf der Strecke. Dass Menschen sich individuell für den Karriereweg entscheiden: geschenkt. Dass allerdings nur Menschen mit relativ hohen Wahlmöglichkeiten, dank hoher Bildungsabschlüsse, auf dem Podium saßen war nicht nur langweilig, sondern auch zermürbend und frustrierend.
Vorallem diejenigen, die sich entweder nicht durch eine universitäre Laufbahn schlagen (können) oder sich einen konstruktiven Austausch über die durchaus berechtigten Ängste mit Beendigung des Studiums erwarteten, wirkte das Gesagte demotivierend. Es war eine Abbildung des Worst-Case-Szenarios der Verbindung von Lohnarbeit und politischem Ausstieg.
Dazu kam, dass die Job’s alle moralisch jeweils individuell rechtfertigbar wirkten: Man helfe der Szene ja durch Geld aus der Partei oder als Geschäftsführerin eines bekannten linken Jugendclubs. Die NGO ist ohnehin politisch aktiv und natürlich ist es von Vorteil wenn die Lehrveranstaltungen an der Uni nicht ausschließlich von reaktionären ü50 Proffessor*innen, sondern auch von kritischen Menschen gegeben werden. Bei so viel Engagement auf der Lohnarbeit lohnt sich der politische Kampf ja eh nicht mehr, scheint ja alles okay zu sein. Ein bisschen Anerkennung kann man für sein Engagement auch noch abstauben. Aber gerade diese Job’s, die durch entgrenzte Arbeitszeiten und ein hohes Maß an Selbstausbeutung durch moralischen Druck gekennzeichnet sind, was durchaus von Sprecher*Innen des Podiums reflektiert wurde, sind Teil einer schönen neuen Arbeitswelt, die so schön gar nicht ist.
Widerstand am Arbeitsplatz ist kein Thema mehr, denn der Job ist nicht mehr „Beruf sondern Berufung“, wie es so schön heißt, und verlangt höchste Selbstaufgabe. Die ökonomische Notwendigkeit der Lohnarbeit wird durch Selbstverwirklichung verschleiert. In welch vorteilhaften Lage sich die vier Referent*Innen damit befanden, nicht nur irgendeinen Job zur Existenzsicherung nachgehen zu müssen, wurde nicht thematisiert. Kein*e kämpfende Amazon Mitarberiter*in, kein*e sonst wie prekär angestellte, organisierte Person oder zumindest Menschen, die in solidarische kollektiven arbeiten, waren vertreten…geschweige denn Personen, die ihren politischen Kampf in der Organisierung gegen das Jobcenter oder dem*der Chef*in sehen.
Die Zusammensetzung des Podiums gaukelte das kapitalistische Glücksversprechen vor: „Wenn ihr gute Kontakte knüpft (während des Studiums und in der Szene), genug Skills sammelt (u.a. auch in der Politgruppe) dann könnt ihr auch so einen seltenen, aber coolen Job wie wir bekommen.“ Vor allem der Aspekt, dass die in der politischen Organisierung erlangten Skills und Kontakte durchaus bei der Jobsuche von Vorteil sind, wurde nicht beleuchtet. Eine Reflektion darüber, dass gerade die vorgestellten Jobs absolute Einhörner auf dem ohnehin schon umkämpften Jobmarkt sind fand leider nicht statt.
Thematisiert wurde auch nicht warum die Diskutant*innen überhaupt einer Lohnarbeit nachgingen. Dass wir alle Geld brauchen um Essen, Wohnung und Kultur erwerben zu können ist unter kapitalistischen Verhältnissen klar. Dass Arbeit, ob nun abgespalten und unsichtbar gemacht (Reproduktionsarbeit) oder offen und wertschaffend ein zentrales Element des Kapitalismus ist, sollte auch vorausgesetzt werden. Heißt wir sollten Wege finden dieses zentrale Element in seinem spezifischen Auftreten anzugreifen und zu verändern. Alles zielt darauf ab, dass der*die Staatsbürger*in am Ende der Ausbildung (Familie, Kindergarten, Schule, Ausbildung, Uni etc.) ihre Arbeitskraft verkauft oder kostenfrei für das Männliche verausgabt. Es ist schwer sich diesen vorgegeben Weg zu widersetzen und auch die Jobcenter und das Überleben in den „Sicherungssystemen“ gleichen oft einem 20 Stunden Job.
Später in den Kleingruppen sollte sich aufgeteilt werden, je nach Interessenlage welche Person den spannendsten Input gegeben hat. Für uns schien die Veranstaltung damit beendet. Wir hatten kein Interesse daran uns aufzuteilen a lá: „Setzt euch zu dem Job in dem ihr euch in fünf Jahren am ehesten seht.“ Als Standartbiografie der Linksradikalen wurde hier einfach unreflektiert das Bild des Studi’s reproduziert. Eine Biografie die oft mit sich trägt nach dem Master und gut ausgebildet im Privaten zu verschwinden.
Positiv anzumerken ist allerdings, dass sich eine Kleingruppe formiert hat, welche sich kurzer Hand mit Arbeitslosigkeit, damit verbundenen Ängsten und möglicher Organisierung auseinander gesetzt hat. Dies ging allerdings von einer externen Person aus.
Leider sahen wir nicht den Raum für unsere Kritik auf der Veranstaltung. Zum einen wurde das Podiums direkt in Kleingruppen aufgelöst. Zum anderen gab es in der Einleitung die Bitte keine Kritik an Einzelnen Biografien zu üben. Die finden wir vor dem Hintergrund eines „Parteigenossen“ auf dem Podium schräg. Sein Job ist Ehrenamtlich für die Partei die Linke in Leipzig und bezahlt (im normalen Jobverhältniss aber wie auf dem Podium geäußert nicht in der Gewerkschaft eingetreten) im Bundestag auch für die Linkspartei zu arbeiten. Hier ist sich zu fragen was meinen die Veranstalter*innen mit politischen Ausstieg? Woraus steigen wir aus? Wir sind mit einem klaren Standpunkt ran gegangen und dachten dieser wird allgemein vorausgesetzt. Nämlich außerparlamentarisch, selbstorganisiert und revolutionär – und diese Begriffe sind schon mega schwammig.
An sich waren wir alle gespannt auf das Podium und freuten uns über das Angebot einer breiten Debatte über die Angst vor dem Ausstieg, die mit Sicherheit viele politisch Aktive umtreibt. Demnach können viele von uns nachvollziehen, was Menschen dazu bewegt sich der Lohnarbeit zu beugen und die knappe Ressource Zeit eher dem Gelderwerb als der Politarbeit zu widmen. Tatsächliche Fragen und Anregungen, wie dieser alte Widerspruch angegangen werden kann, wurden leider gar nicht behandelt und ließ uns mit einem leeren Gefühl zurück.
Dieser Beitrag soll nicht ausschließlich eine Kritik an der Veranstaltung darstellen. Wir wollen auch einige Fragen aufrollen, welche die sogenannte „politische Lohnarbeit“ betreffen, die als eine Alternative zum völligen Sich-Verabschieden aus der Szene angeboten wurde. Die Veranstaltung wurde wie folgt angekündigt:
„Politisch aktiv trotz, durch oder ohne Lohnarbeit? Arbeiten wir möglichst wenig, um viel Zeit zu haben, bezahlt in linksradikalen Projekten oder landen wir irgendwann in den Parteien, NGO’s oder Gewerkschaften? Gemeinsam wollen wir Erfahrungen austauschen und darüber sprechen, wie wir arbeiten und welche Widersprüche und Freiheiten die verschiedenen Varianten mit sich bringen.“
Hier stellt sich bereits bezogen auf den Ankündigungstext die Frage, ob „bezahlte Arbeit in linksradikalen Projekten“ überhaupt (linksradikal) Politisch sein kann. Ist mit dem Zwang auf Verwertung, unter dem Druck der Kündigung und unter dem Kredo der Entfremdung linksradikale Politik zu machen? Ist es möglich sich von der Lohnarbeit nicht korrumpieren zu lassen? Wenn ja wie?
Unser Ansatz wäre eine andere Herangehensweise, eine andere Fragestellung: Wie ist es gemeinsam möglich wenig (Lohn-)Arbeit zu verrichten und trotzdem Geld, Essen und Wohnorte zur Verfügung zu stellen? Ladendiebstahl, Enteignung, Containern, Tafel und (stille) Besetzungen sollen hierbei als einige Antworten genannt werden. Natürlich sind diese Strategien nervenaufreibend: Wir haben keine Planungssicherheit, können aus der Mehrheitsgesellschaft alles andere als Anerkennung erwarten und wissen nie, ob und wann uns die Repression in die Knie zwingt!
Es braucht Häuser (Hausprojekte, Besetzungen von Wohnungen), Strukturen (autonome selbstorganisierte Beratungen und Basisnetzwerke, Baumaterialien, Drucker, Küchen, Solidaritäsgruppen etc.) Wissen und Organisierung mit dem Ziel auf eine positive Aufhebung des Kapitalismus und einer Abschaffung der Herrschaft überhaupt. Damit wir gemütlich alt werden könnten! Dazu braucht es definitiv Diskussionen wie die der Genoss*innen gegen den politischen Ausstieg. Es bleibt festzuhalten, dass es möglich ist politisch zu bleiben und zu handeln! Die Voraussetzungen dafür sind ein gewisser Grad an widerständiger Organisierung und Solidarität, sowie eine Rückbesinnung auf (eigene) soziale Kämpfe.
Wir sollten uns gemeinsam Gedanken machen wie wir uns langfristig, solidarisch und kollektiv organisieren können. Um unserer Kämpfe willen aber vor allem auch um unserer selbst! Denn wenn wir uns nicht um Brot, emotionale Fürsorge und etwas zum schlafen kümmern dann können wir auch nicht kämpfen. Aber wenn wir das Kümmern zum kämpfen machen, werden wir es gemeinsam zumindest leichter haben und können konkrete Alternativen in sozialen Kämpfen aufzeigen. Mit dem Ziel der sozialen Revolution bei welcher mit Blick auf das Wort sozial vor allem die gesellschaftlichen Beziehungen gemeint sind die wir verändern müssen – neben den Strukturen. Die Lohnarbeit ist ein bestimmendes Moment, welches uns voneinander trennt… im Kampf gegen sie könnten wir uns neu wieder finden.
Einen Tag vor dem ersten politischen Salon ging es in einer anderen Lesung in Leipzig um Bankraub und Enteignung als politische Strategie und um die Frage, welche Auswirkungen das Ausbleiben solcher militanter Praxen auf die Form linksradikaler Theorie und Praxis hat. Außerdem: wie bekommen wir fernab von Lohnarbeit, Solipartys und Anträgen Geld für uns und unseren politischen Kampf zusammen? In den 70ern hieß es eine Bank zu machen. Heute heißt: nach dem Bachelor noch den Master.
Was hätte anders laufen können?
Ein gemischtes Podium, Kritik an Arbeit, positiver Ausblick von 40 Stundenwochen-Erniedrigten und ihren Konzepten und Strategien. Dazu hätte es ebenfalls noch Beispiele von erfolgreichen Arbeitskämpfen geben können sowie das aufzeigen von der Möglichkleit sozialer Kämpfe im eigenen Alltag. Die Diskussion dazu laufen in der letzten Zeit ja durchaus wieder vermehrt an (11 Thesen Bremen, Broschüre „Schritte in eine gelebte Utopie“, Antifa Kritik und Klassenkampf Frankfurt, Wilhelmsburg Solidarisch und die verschiedenen Ableger oder die „Selber machen“-Konferenz in Berlin (um nur einige Beispiele zu nennen).
Hoffen wir beim nächsten Salon um Druck innerhalb linke Organisierungen wird das mitreflektiert(Sorry, dafür is es jetzt zu spät). Im Sinne von; wer halt 40 Stunden arbeitet hat Druck. Den kann eine klassische beispielsweise IL-Politgruppe nicht auffangen und tut es auch nicht. Da geht es wieder um die politische Organisierung des privaten und Alltäglichen in dem durch aus für eine emanzipatorische Gesellschaft gestritten werden sollte.“